超我的概念及其与临床的关系
作者: 吴江 译 施琪嘉 校 / 17327次阅读 时间: 2010年6月18日
标签: 超我
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The concept of the super-ego and it’s clinical relevance
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Tomas Plaenkers, Ph. D.,
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Frankfurt, Sigmund Freud Institute心理学空间 [q+t-P#T3cX,B
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Abstract: The lecture will demonstrate the development of the concept of the super-ego within psychoanalysis. Beginning with Freud’s structural theory this concept has undergone important changes especially by the object relational theory that views the super-ego as a part of internal object relations and differentiates certain characters of super-ego. Furthermore it will be worked out, how the specific content of a concept influences the psychotherapeutic approach to super-ego-problems.The workshop will give a psychoanalytic interpretation of the film „Hero“ by Zhang Yimou, working out the unconscious concept of super-ego and it social-psychological meaning.心理学空间aRp&~|(J~2A
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Es ist mir eine große Freude hier zu Ihnen über das in Europa entstandene psychoanalytische Konzept des über-Ichs zu sprechen, da ich weiß, daß Fragen der Moral, der guten Sitte und der Tugend seit Jahrtausenden in China eine bedeutende Rolle spielen und entscheidend dazu beigetragen haben, dass dieses Land zu einer der ältesten und entwickeltsten Zivilisationen der Welt wurde. Zu nennen ist hier die legalistische Schule der chinesischen Philosophie – deren bedeutendste Vertreter bekanntlich Shang Yang (gest. 338 v. Chr.) und Han Feizi (gest. 233 v. Chr.) waren -, welche die Bedeutung der Gesetze für das erfolgreiche Regieren eines starken Herrschers hervorhob, mit denen die staatlichen Institutionen, sowie die Stellung des feudalen Herrschers gestärkt werden sollten. Dieser Geistesströmung verdankt China bekanntlich die Umwandlung in einen Einheitsstaat durch den ersten Kaiser Qin Shi Huang-ti (221-210 v. Chr.). Zu erinnern ist auch an Konfuzius, der ein neues Menschenbild schuf: der Mensch war nicht mehr von Geistern der Ahnen und der Natur bestimmt, sondern aus seiner sittlichen Haltung. Insofern vollzog Konfuzius so etwas wie „Humanismus“ bzw. „Aufklärung“ im chinesischen Denken (Bauer 2001, S. 57ff.), aber um den Preis einer enormen Verstärkung des über-Ichs. Der Konfuzianismus betonte z. B. die Einbindung in eine Hierarchie, die Wertschätzung von Ritualen, von Familienbindungen. Ich erinnere weiterhin an die fünf Kardinaltugenden des Konfuzius (Ren, die gegenseitige Liebe; Yi, die Rechtschaffenheit; Zhong, die Gewissenhaftigkeit; Shu, die Gegenseitigkeit; Zhi, die Ehrlichkeit) sowie die raus erwachsenden sozialen Pflichten (Zhong, die Loyalität; Xiao, die Pietät; Li, Anstand und Sitte). Aber auch der gegen die Tugendlehren des Konfuzianismus entstandene Taoismus entfaltet eine Moral des richtigen Weges, auf dem das Ich Reinheit und Ruhe gewinnen soll. Der Taoist ergibt sich dem Tê (der Kraft des Tao) und pflegt das Wu Wei (Nicht-Handeln) und Pu Yen (Nicht-Reden).Alle diese auf die Zeit der streitenden Reiche zurückgehenden Weisheitslehren geben Empfehlungen für die Beherrschung des Ichs und haben die chinesische und asiatische Kultur entscheidend geprägt. Dabei spielt das Gefühl der Scham, das psychoanalytisch eher mit einer Differenz von Ich und Ich-Ideal verbunden ist, eine größere Rolle als das der Schuld, das mit der Differenz von Ich und über-Ich zu tun hat und worüber ich heute sprechen werde (Tang 1992, S. 380).Während solche Tugenden und moralischen Pflichten in China wie auch in Europa durch erzieherische Maßnahmen wie Studium, Belehrung, Lob und Bestrafung eingeübt und sanktioniert werden, interessiert sich die Psychoanalyse für die hier zugrunde liegenden psychischen Vorgänge. Die Beachtung, aber auch die Verletzung oder Außerkraftsetzung derartiger Verhaltensmaßregeln hat sie beginnend mit Sigmund Freud zum Gegenstand ihrer Untersuchungen und Theorien gemacht.Dass wir mit dem über-Ich nicht nur ein theoretisches Konzept abhandeln, sondern einen für unsere psychotherapeutischen Behandlungen höchst bedeutsamen Begriff, zeigt ein kurzer Blick in unsere Erfahrungen mit Patienten. Lassen Sie mich 4 Beispiele aufführen:1. Das präautonome über-Ich: Herr S.Er steht kurz vor einer Operation im Krankenhaus, die er in der Zeit meiner jetzt anstehenden Ferien vornehmen lassen will. Er kommt zu seiner Analysestunde und verschwindet gleich auf der Toilette. Dann redet mit einer scharfen, fast bellenden Stimme. Er will seine Ruhe haben, ich soll eigentlich nichts sagen. Aber wenn ich schweige, fühlt er sich von mir abgelehnt als jemand, der es nicht wert sei, daß ich mit ihm rede. Alles was ich sage erlebt er als Angriff und beantwortet es dann ebenfalls angreifend in arroganter Manier. Er spricht davon bei der Operation „aufgeschnitten“ zu werden, und dass es „an die Front“ gehe. Sehr schnell wird deutlich, daß er auch mich als ein feindseliges Objekt erlebt, das ihn aufschneiden könnte, und dass überhaupt alle Menschen um ihm herum, ihm bösartig erscheinen. Schon auf dem Herweg hat er sich über jeden Radfahrer und Fußgänger geärgert. Schließlich steht er sehr verärgert 6’ vor Schluß von der Couch auf und geht.2. Das autonome über-Ich: Frau P. Sie steht am Ende ihrer Analyse und kommt zu einer Stunde mit einem Traum, in dem ihr ein Mann seelenruhig dabei zu sieht, wie sie mit stärker werdender Verzweiflung nach einem Buch für einen Vortrag sucht, es aber nicht findet. In ihren Einfällen zu diesem Traum identifiziert sie mich mit diesem Mann, denkt an das bevorstehende Ende der Analyse und ihr Gefühl, von mir keinen Leitfaden für ihr weiteres Leben zu bekommen. Im Traum war sie wütend auf diesen Mann gewesen, da sie sich von ihm im Stich gelassen fühlte. Aber in der Stunde kann sie über ihren Wunsch nach einem ‚Leitfaden’ von mir nachdenken und auch darüber trauern, daß wir uns trennen müssen und sie in Zukunft allein ihren Weg geht und auch ihren ‚Vortrag’ allein schreibt.3. Die Beseitigung des über-Ichs in der Manie: Herr M.Zu seiner Analysestunde im Februar kommt er mit großer Freundlichkeit. Kaum daß er auf der Couch liegt startet er einen lebhaften Redefluß, in dem er mir vom vergangenen Wochenende erzählt, von seinen vielen Begegnungen und Erlebnissen. Er redet und redet und zeigt mir immer mehr, daß er nicht kommt, um etwas mit mir zu klären oder ein Gespräch mit mir zu haben. Ich soll ganz offensichtlich nur zuhören und ihm folgen. Nach einer Weile merke ich, daß meine Aufmerksamkeit nachläßt, daß meine Gedanken abschweifen, während neben mir sein Redefluß vorbeirauscht. Am Ton seiner Stimme spüre ich seine Hochstimmung. Ich zeige Ihnen einen kurzen Ausschnitt aus diesem Wortschwall:It is warm like in spring! Boy, oh boy! My coat is too thick. It is too warm for February. Yesterday I did not feel well – yesterday evening and this morning. I worked myself up into these aggressive impulses. In the past this persecuted me to breakdown, because I did not know what it is. Now I see it is a defence manoeuvre against not feeling good that I do not stand. Then I get aggressive in words and in action. I think it is a fair anger. Just like recent the breakfast in the black forest: where I projected my misfortune to someone else. – Today I am well. I have been successful professionally and at noon I had a telephone call with Sonja. She has been confused, she had had nightmares. She wants to be alone and she started to cry. I felt for her, I could be generous and said: than stay for yourself. But she knows that I wish more to be together with her. She knows that I am disappointed. I now gave her a car, a used car, a Golf, 20.000 Euro, nothing special, a little black sporty job (Flitzer), she liked it. She was so exited; in the morning she had diarrhoea. I told her that she must not be exited, I already have bought ten cars at least. She asked whether she should go to a doctor. I recommended psychoanalysis to her. Now we have a transition period, I stroke her through the telephone. Than I felt well.4. die Beseitigung des über-Ichs in der Gruppe: die verschwundenen PralinenIn einer Therapiegruppe mit Patienten, die alle aus verschiedenen Gründen überschuldet sind, ereignet sich in einer Sitzung folgender Vorfall: Maria hatte zu dieser Sitzung eine Tüte selbstgemachter Pralinen für alle mitgebracht. Zu Beginn berichtet sie aufgeregt, sie habe vor der Sitzung die Tüte auf einen Stuhl gelegt, sei noch einmal kurz rausgegangen und als sie wiederkam, sei die Tüte weg gewesen. Einer in der Gruppe muss sie genommen haben! Daraufhin beginnt in der Gruppe ein Suchen nach dem Täter und bald gerät Ute ins Visier, eine dicke, kaufsüchtige Patientin. Von mehreren in der Gruppe wird sie im Verhörstil gefragt, ob sie die Pralinen „gefressen“ habe. Ute verneint nur unsicher, aber alle anderen bleiben bei ihrer Meinung und scheinen sich sicher, daß Ute mit ihrer Gier ganz sicher der Täter ist. Nach einiger Zeit schaut Maria in ihre Tasche und entdeckt dort zu ihrer überraschung die Tüte mit den Pralinen, was sie sich gar nicht erklären kann. Die Gruppe beginnt nun ihre falsche Anschuldigung zu untersuchen und ein anderes Gruppenmitglied gesteht, daß er gefürchtet hatte selbst angeklagt zu werden (Haubl 2005, S. 69f.). Wir alle kennen aber aus dem politischen, dem sozialen und religiösen Bereich Beispiele, wo die Zugehörigkeit zu einer Gruppe das über-Ich des Einzelnen außer Kraft setzen kann und er dann zu Taten in der Lage ist, die er allein nie begehen würde. Denken Sie nur an die Terrorakte junger Muslime oder an kriminelle Taten jugendlicher Bandenmitglieder.1. Entwicklungsgeschichte psychoanalytischer über-Ich-KonzepteDer Begriff des über-Ichs benennt eine psychische Instanz innerhalb des zweiten von Sigmund Freud entworfenen Modells der Psyche. Das über-Ich gehört zur sogenannten Strukturtheorie, welche die Psyche unterteilt in die drei Instanzen Es, Ich und über-Ich. Das Es verstand Freud bekanntlich als den Triebpol der Persönlichkeit, der sich in Phantasien und Gefühlen äußert, die sehr körpernahe Wünsche und Bedürfnisse zum Ausdruck bringen. Demgegenüber sah Freud im über-Ich einen inneren Repräsentanten äußerer Normen, der sich dem Streben des Es entgegenstellt. Das ich – ein Diener dreier Herren – muß nun vermitteln zwischen Es, über-Ich und der äußeren Realität. Diese sehr vereinfachte Skizze des 2. Freudschen Persönlichkeitsmodells macht deutlich, dass in seinem Mittelpunkt das Verhältnis von Wunsch und dessen Einschränkung steht, im Unterschied zum 1. Modell, in dem das Verhältnis von Bewusst und Unbewusst zentral war. Freud führte die Entstehung des über-Ichs auf den ödipalen Konflikt zurück, in dem der Wunsch, den gegengeschlechtlichen Elternteil für sich zu gewinnen auf die einschränkende Wahrnehmung stößt, dass dieser Elternteil bereits eine das Kind ausschließende Beziehung zu dem anderen Elternteil hat. Hier vollzieht sich die Identifizierung des Jungen mit dem Vater, des Mädchens mit der Mutter, und diese Identifizierung bildet nach Freud die Grundlage des über-Ichs, woran sich später andere, nicht-familiale Objekte der Gesellschaft anschließen können. Ge- und Verbote, Normen und Werte, die früher von äußeren Objekten kamen, werden so internalisiert und nun innerlich vom über-Ich dem Ich gegenüber geltend gemacht. Mit diesem Internalisierungsprozess geht der Gewinn psychischer Autonomie einher, da im Prinzip jetzt nicht mehr äußere Objekte für die normierende Regulation des eigenen Denken, Fühlens und Verhaltens notwendig sind. Selbstregulation tritt an die Stelle von Außenregulation. Affektiv bemerkbar macht sich die Wirkung dieses über-Ichs durch das Schuldgefühl. Als Beispiel dafür habe ich Ihnen vorhin Frau P. genannt, die sich durch ihre Trauer von ihrem regressiven Wunsch von mir immer bei der Hand genommen zu werden, distanzieren kann. Dies verändert entscheidend ihr Bild von mir. Im Traum bin ich noch ein bösartiges, weil nicht helfendes Objekt, in der Stunde kann sie sich davon distanzieren und erlebt mich hilfreich und freundlich. Frau P. ist also in der Lage über die Beziehung ihres Ichs zum über-Ich nachzudenken. Sie erlebt dadurch ihren Analytiker und auch ihr über-Ich gutartig und beschützend. Die Trauer ermöglicht ihr Autonomie, da sie das äußere Objekt loslassen kann.Das autonome über-Ich ist ein Ideal, das wir in vielen Kulturen wieder finden: es ermöglicht seinem Besitzer jederzeit und an jedem Ort für sich autonom zu entscheiden, was gut und was schlecht, was richtig und falsch ist. Der größte deutsche Philosoph, Immanuel Kant (1784), hat dies in der schönen Wendung beschrieben: Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere au de! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. Da diese Autonomie ein Ideal ist, existiert sie in der Realität nur mehr oder weniger vollkommen. Sigmund Freud (1930a) sah deshalb viele Menschen auf der Stufe eines Kindes, das nur die äußere Autorität fürchtet. Viele Erwachsene sind demnach nicht in der Lage, wirklich ein Autonomie gebendes über-Ich zu verinnerlichen, sondern bleiben zeitlebens unbewusst abhängig von den Eltern bzw. später von gesellschaftlichen Autoritäten, die ihnen vorgeben, was sie zu tun und was sie zu unterlassen haben. Kant (ebd.)nahm an, dass „Faulheit und Feigheit“ die Ursachen dafür sind, dass die meisten Menschen zeitlebens lieber unmündig bleiben und sich gern von anderen leiten lassen. Es sei eben so bequem unmündig zu sein. Mit der Psychoanalyse können wir jedoch verstehen, dass die Entwicklung eines Autonomie gebenden über-Ichs Angst macht: denn Autonomie bedeutet auch psychische Trennung vom Objekt. Die Zumutungen des Erwachsen-Seins, des Allein-Seins im Denken und Handeln, ängstigt viele Menschen, weshalb sie sich lieber unter die Regie anderer begeben und sich wie ein Kind von Eltern leiten lassen. Anders als Frau P. wird Herr S. von einer nachhaltigen Angst sich von mir trennen zu müssen, bestimmt. Da sich die Trennung und auch die anstehende Operation nicht vermeiden lassen, und da er nicht in der Lage ist darüber zu trauern, werde ich zu einem schlechten Objekt, das ihm Unerträgliches zumutet. Ich werde deshalb ein schlechtes Objekt, da er ein sehr strenges über-Ich hat, von dem er sich nicht in guter Weise beschützt, sondern gepeinigt und verfolgt fühlt. Dieses über-Ich dominiert sein Ich, und dieses über-Ich projiziert er auf mich. Deshalb fürchtet er in der Stunde zunehmend meine Strafe und verlässt den Raum vorzeitig.Von einem Gewissen und von Schuldgefühl will Freud dagegen erst dann sprechen, wenn wirklich eine innere Instanz errichtet wurde. Erst dann tritt das Schuldgefühl an die Stelle einer Angst vor Strafe durch das äußere Objekt. Die Angst gilt dann nicht mehr den Reaktionen des äußeren Objekts, sondern denen des über-Ichs. Und im Unterschied zur äußeren Autorität ist die innere Instanz stets präsent. Man kann der inneren Instanz über-Ich nicht wie der äußeren Autorität ausweichen. ‘Böses tun’ zieht genauso die Wirkung des über-Ichs in Gestalt eines Schuldgefühls nach sich wie ‘Böses denken’. In der überwachung des Ichs sah Freud allerdings nicht die einzige Funktion des über-Ichs. Wichtig war für ihn auch die Regulation der Selbstachtung, welche er der Instanz des Ich-Ideals zuschrieb, die er als Bestandteil des über-Ichs sah (vgl. Freud 1914c, 1921c) . Die Weiterentwicklung der Psychoanalyse durch die Untersuchungen und Arbeiten der Schule Melanie Kleins veränderte auch das Konzept des über-Ichs. M. Klein fand in ihren Analysen mit kleinen Kindern, daß diese schon viel früher als von Freud angenommen ein über-Ich entwickelten. Schon Kinder, die jünger sind als 4 Jahre, zeigen deutliche Bestrafungsängste und Schuldgefühle. Für M. Klein war das über-Ich auch nicht mehr nur die Introjektion der ödipalen Eltern, sondern wurde zu einem Sammelbegriff verschiedener innerer Objekte, die sich gegenüber dem Ich kritisch verhalten. Anders als bei Freud beschreibt Melanie Klein das über-Ich in Begriffen von Objektbeziehungen und vielfältigen Funktionen. Während bei Freud das über-Ich primär in seiner kritischen Funktion dem Ich gegenüber verstanden wurde, betonte Klein auch die schützenden Funktionen des über-Ichs, indem es den Haß und die destruktiven Impulse eindämmt, sowie das gute Objekt und das Ich beschützt. Die Entwicklung des über-Ichs stellte sich Melanie Klein (1942) so vor, daß ausgehend von guten und schlechten Erfahrungen im Zusammenhang mit der Befriedigung bzw. Frustration körperlicher Bedürfnisse die Primärobjekte von dem Baby mit den Eigenschaften des Guten und Bösen ausgestattet (Projektion) und als solche wieder in das Ich aufgenommen (Introjektion) werden. Diesem Wechselprozeß von Projektion und Introjektion verdankt sich der Aufbau des frühen über-Ichs. Es kann seine besonders grausame Struktur dadurch entwickeln, dass die primären Objekte durch die Projektion des kindlichen Hasses zu sehr bösen und strengen Objekten werden können. Mit diesem projektiv verzerrten Objekten identifiziert sich dann das Kind und internalisiert auf diese Weise ein grausames über-Ich. Wir haben dies vorhin am Beispiel von Herrn S. sehen können. Allgemein beruhen die verschiedenartigen Aspekte des über-Ichs jeweils auf den Bildern, die das Kind sich von seinen Primärobjekten schafft. Dieser Prozeß von Projektion und Introjektion führt unausweichlich in einen grundlegenden Konflikt: in diesem Konflikt kämpft der Haß gegen das Primärobjekt mit der Angst, dieses durch den eigenen Haß zu zerstören und damit die Grundlage des eigenen Lebens zu gefährden. Daraus resultiert nicht nur der Impuls, die eigenen Aggressionen zu zügeln, sondern auch das Objekt zu bewahren, das in der Phantasie angegriffen wird. Melanie Klein nennt dies Wiedergutmachung. Alle wiedergutmachenden Aktivitäten, z. B. soziale Gefühle und Hilfsbereitschaft, werden nun als moralisch gut empfunden und helfen Schuldgefühle in erträglichen Grenzen zu halten oder zu überwinden.Als wesentliches Unterscheidungsmerkmal des frühen vom reifen über-Ich sieht Melanie Klein (1932) – ganz ähnlich wie Freud - die jeweilige Auswirkung: Das frühe über-Ich wirkt sich demnach ängstigend aus, das reife über-Ich mit Schuldgefühlen. Die Angst ist beim frühen über-Ich deshalb dominant, da sie aus den destruktiven Regungen gegen das Primärobjekt resultiert. Wird dieses dann introjiziert, ist damit ein inneres verfolgendes Objekt etabliert.Nachfolger Melanie Kleins haben weiterführende überlegungen zur Struktur und Funktion dieses frühen über-Ichs formuliert. So prägte Edna O’Shaughnessy (1998) den Begriff eines pathologischen über-Ichs. Sie bezog sich mit diesem Konzept im Wesentlichen auf Wilfred Bion, der von einem „ich-zerstörerischen über-Ich“ sprach.„Es ist ein über-Ich, das kaum irgend eines der Merkmale des über-Ichs hat, wie es in der Psychoanalyse verstanden wird: es ist ‘über’ Ich. Es ist eine neidische Behauptung von moralischer überlegenheit, ohne irgendeine Moral. Es ist, kurz gesagt, das Ergebnis eines neidischen Abstreifens oder einer neidischen Entkleidung von allem Guten und ist selbst dazu bestimmt, den Prozeß des Abstreifens fortzusetzen [...] bis [...] kaum mehr [übrig bleibt] als eine leere überlegenheit/Unterlegenheit, die ihrerseits zu nichts degeneriert“ (Bion 1962, S.156).Bion sah den Ursprung dieses ich-destruktiven über-Ichs in der Unfähigkeit, elementare Kommunikationsverbindungen herzustellen. Das Kind begegnet hier in der Mutter einem Objekt, das sich weigert, Verbindungen herzustellen (geschlossener Container) und das als ich-destruktives über-Ich introjiziert wird. Damit verfolgt dann auch dieses über-Ich das Ziel, die Verbindung zum Objekt anzugreifen. Das Beispiel von Herrn M. zeigt eine manische Abwehr eines ich-destruktiven über-Ichs. Herr M. nimmt mir gegenüber eine omnipotente Position ein: er dominiert mich, indem er Themen ausbreitet, in denen er absolut Herr der Lage ist und sich selber deutet. Mich benötigt er dazu offenbar nicht. Ein über-Ich, das sich mäßigend auf seine Omnipotenz auswirken würde, ist in diesem Moment nicht funktionsfähig. Es gibt auch kein über-Ich, das ihn stützend begleitend könnte in der Trauer über seinen einsamen Zustand. Dementsprechend darf auch ich für ihn kein hilfreicher Begleiter sein. Vielmehr dominiert sein Ich das über-Ich, so wie Herr M. mich dominiert und sein destruktives über-Ich in mich projiziert, da er mich in eine zunehmend ihm gegenüber kritische Haltung versetzt. Der Vorteil dieser Operation ist, dass er nicht selber unter einem destruktiven über-Ich leiden muss. Dadurch kommt allerdings auch keine Beziehung des Verstehens zustande. Würde er eine derartige Beziehung erlauben, liefe er Gefahr von seinem ich-destruktiven über-Ich bestimmt zu werden. Gelegentlich wird ihm dies in seiner Analyse deutlich: dann spricht er von seinem „inneren Zwingherrn“ und kann für einen Moment Trauer darüber empfinden derartig gefangen zu sein. Abschließend möchte ich noch auf die Bedeutung des über-Ichs in Gruppensituationen eingehen – ein Thema, das bereits Sigmund Freud interessiert hat und über das er u. a. in seiner 1921 veröffentlichten, berühmten Arbeit „Massenpsychologie und Ich-Analyse“ schrieb. Er beschreibt in dieser Arbeit, wie die Individuen von der Masse nachhaltig beeinflusst werden, so dass sie in der Masse anders denken, fühlen und handeln als als Einzelne. In der Masse scheint das Individuum nicht mehr es selbst zu sein. XXXXX „Seine Affektivität wird außerordentlich gesteigert, seine intellektuelle Leistung merklich eingeschränkt, …“ (ebd. 95). Freud fand als wesentliches psychisches Bindungsprinzip in einer Masse die Tatsache, dass die vielen Einzelnen „ein und dasselbe Objekt an die Stelle ihres Ich-Ideals gesetzt und sich infolgedessen in ihrem Ich miteinander identifiziert haben.“ (ebd. S. 128). Diese Identifizierung (ebd. S.128) hilft den einzelnen Mitgliedern der Masse sich als Gleiche zu erkennen. Plötzlich meinen alle nach demselben zu streben. Es scheint keine Konkurrenz und keinen Neid auf den anderen mehr zu geben. Gemeinschaftsgefühl sowie Forderungen nach Gerechtigkeit und gleicher Behandlung versteht Freud auf diesem Hintergrund primär als Abwehrleistungen gegen Neid und Eifersucht. Wir haben diese Vorgänge eben in der Gruppe mit den verschwundenen Pralinen beobachten können. Konfrontiert mit einer von Maria ausgehenden Schuldzuweisung einigte sich die Gruppe schnell auf ein Mitglied, das stellvertretend für alle die Schuld zu tragen hatte. Alle anderen waren damit vom Schulddruck ihres über-Ichs entlastet. In ihrer projektiven Schuldzuweisung an Ute verloren sie zugleich ihr funktionsfähiges über-Ich, dass sie mahnen müsste, hier vorsichtig zu sein und nicht vorschnell nur aufgrund von unbewiesenen Verdächtigungen jemanden anzuklagen. Die Gruppensituation scheint aber allen zu helfen dieses funktionsfähige über-Ich außer Kraft zu setzen.An diese überlegungen schloss die französische Psychoanalytikerin Chasseguet-Smirgel (1975) die These an, dass das Ich-Ideal dazu diene, die verlorene Allmacht aus der Einheit mit der Mutter wiederherzustellen und Illusionen zu schaffen, während das über-Ich das Kind von der Mutter trennt und über die Errichtung der Inzestschranke zur Autonomie und zu der Möglichkeit führt, aus Gehorsam narzisstische Befriedigung zu gewinnen. Das über-Ich kann nun, wie Chasseguet-Smirgel im Anschluss an Freuds „Massenpsychologie und Ich-Analyse“ beschreibt, durch den Wunsch nach Vereinigung von Ich und Ich-Ideal ‘hinweggefegt’ werden.Ihre überlegungen führten sie zum Konzept zweier unterschiedlicher Gruppenstrukturen: einer auf Illusion gegründeten, deren Führer eher der Repräsentanz der frühen Mutter entspricht, und einer von ihr als Arbeitsgruppe bezeichneten, die realitätsorientiert ist und deren Führer eine Vaterrolle innehat. Eine auf Illusion aufbauende Gruppe, deren Mitglieder durch den Wunsch nach Verschmelzung mit der allmächtigen Mutter, dem Vorläufer des Ich-Ideals, zusammengehalten werden, hat die Tendenz, die Realität zu verleugnen und eine egalitäre Ideologie zu vertreten: es geht um Vermeidung von Rivalität und die Vereinheitlichung der Mitglieder. Individuelle Züge werden ausgelöscht und das Ich-Ideal durch Projektion auf den gemeinsamen Führer oder bei virtuellen Massen, die nicht räumlich gebunden sind, auf Ideologien oder religiöse überzeugungen projiziert. Damit wird u. a. erklärt, dass in Gruppen im Namen der Ideologie oder des Führers Verbrechen begangen werden, die der einzelne auf Grund seines über-Ichs niemals zulassen würde. Gräueltaten in Gruppen sieht sie u. a. als notwendige Konsequenz der Gruppenideologie und nicht so sehr als durch den Verlust des über-Ichs bedingt. Alles, was die Erfüllung der Illusion stört, muss verschwinden und wird daher projiziert. In der Gruppe geht das Ich im Kollektiv auf. Die Gruppe ist zugleich Ich, primäres Objekt und Ich-Ideal, die miteinander verschmolzen sind. Das individuelle Ich gibt seine Vorrechte zugunsten der Gruppe auf und erhält dafür narzisstische Gratifikationen. Ein Sich-gegen-die-Gruppe-Stellen und ein Festhalten am ödipalen über-Ich und reifen Ich-Ideal setzen voraus, dass die Identifikation mit dem Vater stattgefunden hat, dass Einsamkeit ertragen und der Verzicht auf narzisstische Befriedigung durch die Zugehörigkeit zur Gruppe aufgegeben werden kann. Damit verbunden ist die Anerkennung von Getrenntheit und Unterschieden.Diese wenigen überlegungen zur Struktur und Funktion des über-Ichs zeigen, dass wir in der therapeutischen Situation mit unseren Patienten sehr sorgsam die vorherrschende über-Ich-Struktur untersuchen müssen. Dazu gehört auch zu verstehen, wie sich das Ich gegenüber den Objekten des über-Ichs verhält. Denn die Abwehr des über-Ichs bildet nicht selten die Ursache für schwere Psychopathologien (Wurmser 1987). Dies ist nicht nur für die Diagnostik, sondern auch für unsere Behandlungstechnik bedeutsam. Denn nur ein Patient mit einem einigermaßen autonomen und integriertem über-Ich kann unsere Deutungen nutzbringend für sich hören, über sie nachdenken und sie verinnerlichen. Nur wenn das über-Ich den Charakter eines dialogfähigen inneren Begleiters hat, kann das therapeutische Gespräch den so heilsamen Trauerprozess einleiten. Patienten mit einem präautonomen, sehr strengen und vielleicht sogar destruktiven über-Ich werden sehr schnell alle unsere Mitteilungen daraufhin abhören, ob wir ihnen nicht versteckte Maßregeln geben: sie wollen gehorchen, sich unterordnen und anpassen, aber sie wollen nicht nachdenken, da sie Trennung und Autonomie fürchten. Ähnlich verhält es sich mit Patienten, die das über-Ich abwehren: auch mit ihnen ist eine wirkliche Kommunikation zum Zwecke des Verstehens und Nachdenkens nicht möglich. Literatur: Bauer, W. (1971): China und die Hoffnung auf Glück < chin. Idealvorstellungen; Verherrlichung der Reichseinheit entstand erst in der Han-Zeit > vorhanden in Uni Ffm, Bibliothekszentrum Geisteswissenschaften, IG-Farben.Haus, Q6, EG, Raum 621 Signatur: 02/BE 8200 B344(2) < einige Kopien T.P. >Fornari Spoto, G. (2001): Dem überich zuhören. Unveröff. Vortrag < Kop. T. P.; über-Ich, Minus-K, Als-Ob, Magersucht; Begriffsgeschichte > Granet, M. und M. Porkert (Hg.) (1934): Das chinesische Denken. Inhalt. Form. Charakter. Frankfurt a. M. (Suhrkamp) 1985 < T.P., China >Halberstadt-Freud, H. C. (1991): Mental health care in China., Int. Rev. Psychoanal., 18:11-18 < China ; kritische Prognose für Psa in China wg. traditioneller Verschlossenheit, Schamkultur, Familienorientierung >Han Feizi: Die Kunst der Staatsführung. Die Schriften des Meisters Han Fei. Leipzig (Kiepenheuer) 1994Haubl, R. (2005): “Blaming the victims.“ über Sündenbock-Phänomene. Jahrbuch für Gruppenanalyse, 2005, 6, 55-75 < Kop. T.P. >Kant, I. (1784): Was ist Aufklärung?Klein, M. (1933): Die frühe Entwicklung des Gewissens beim Kind. Gesammelte Schriften, Bd. I, Teil 2, S. 1-20 < über-Ich >Klein, M. (1958): Zur Entwicklung psychischen Funktionierens. Gesammelte Schriften, Bd. III, Stuttgart (Frommann-Holzboog), S. 369-386Nasio, J. – D. (1992): 7 Hauptbegriffe der Psychoanalyse. Wien (Turia und Kant) < SFI 12.159; über-Ich >Rosenfeld, H. (1962): Das über-Ich und das Ich-Ideal. In: Ders. (1966): Zur Psychoanalyse psychotischer Zustände. Frankfurt a. M. (Suhrkamp) 1989, S. 167-179Schultz, H. (2005): Legalismus. Unveröffentlichtes Referat, Frankfurt a. M. 2005Secker, F. (1909/10): Chinesische Ansichten über den Traum. Neue metaphysische Rundschau, 17, 101-104 < Kop. T. P. >Tang, N.. M. (1992) : Some Psychoanalytic Implications of Chinese Philosophy and Child-rearing Practices. Psychoanalytic Study of the Child, 1992, 47, 371-389Tonn, W. Y. 1959): Einleitung. In: Lao-Tse, Tao Tê King. Zürich (Manesse), S. 40Wurmser, L. (1987): Flucht vor dem Gewissen. Analyse von über-Ich und Abwehr bei schweren Neurosen. Berlin (Springer)心理学空间s#^O+o kZp

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